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Richtwertmietzins und Lagezuschlag in Wien – So habe ich mir mein Geld zurückgeholt

Wenn du Lust hat, mir deine persönlichen Erfahrungen zu schildern oder mir sonst etwas mitteilen möchtest, kann du mich gerne hier kontaktieren.

Viele Mieten steigen erneut
ORF.at, 01..08.2023

Wohnkostenbeihilfe statt Mietpreisbremse
ORF.at, 22.03.2023

Lagezuschlag wirft neue Fragen auf
Mietervereinigung Österreichs, 19.12.2022

Starke Erhöhung bei den Richtwertmieten erwartet
Kurier, 17.01.2023

Wer in Österreich in einer Altbauwohnung wohnt, kann unter Umständen zuviel gezahlte Miete von seinem Vermieter zurückfordern. Im Folgenden beschreibe ich detailliert, wie das Verfahren vor der Wiener Schlichtungsstelle bei mir abgelaufen ist – und worauf ihr euch eventuell gefasst machen müsst.

Wichtig zu wissen ist zunächst: Jeder Mietvertrag in Österreich enthält eine Mietzinsvereinbarung. Darin ist festgeschrieben, wieviel Miete ihr pro Monat zahlen müsst. Entscheidend ist allerdings, ob diese Vereinbarung überhaupt dem sogenannten Richtwertmietzins unterliegt, einer Art „Mietendeckel“. Hierfür muss eure Wohnung bestimmte Kriterien erfüllen. Tut sie das, gibt es eine gesetzliche Mietkosten-Obergrenze pro Quadratmeter Wohnfläche.

Wer sich sicher ist, dass im Geld zusteht, sollte im zweiten Schritt juristischen Rat suchen. Preiswerte Hilfe für die Antragstellung bei der Schlichtungsstelle, dem ersten Anlaufort für Mieter, leisten unter anderem verschiedene Mietervertretungen, wie zum Beispiel die Mietervereinigung Österreichs, die Mieter-Interessensgemeinschaft Österreich oder der Mieterschutzverband Österreichs. Doch wie läuft solch eine Hauptmietzinsüberprüfung eigentlich genau ab?

Nach dem Auszug aus meiner Wohnung in der Wiener Josefstadt (8. Bezirk) habe ich über mehrere Monate hinweg den ganzen Prozess durchlebt. Vorab: Vieles ist anders gelaufen, als ich es mir vorgestellt habe. Aber immerhin: Am Ende habe ich Geld gesehen – und (noch viel wichtiger!) bin um einige interessante Erfahrungen reicher.

Mietzinsrechner liefert grobe Ersteinschätzung

Aber starten wir am Anfang: Bevor ich mich um eine juristische Vertretung kümmere, rechne ich aus, wieviel Miete ich aktuell möglicherweise zuviel zahle. Der sogenannte Mietzinsrechner der Mietervereinigung kann da helfen. Hier muss ich unter anderem eingeben, wie groß meine Wohnung ist, welcher Kategorie sie zuzuordnen ist (in meinem Fall „A“), ob mein Mietvertrag befristet ist, in welchem Stockwerk die Wohnung gelegen ist, ob sie einen Aufzug hat, und so weiter.

Abbildung des Mietzinsrechners der Mietervereinigung
Mietzinsrechner Mietervereinigung Österreichs (Quelle: Screenshot, 2021)

Wenn ich die Kriterien erfülle und meine Wohnung grundsätzlich dem Richtwertmietzins unterliegt, erhalte ich nach Ausfüllen des Formulars eine unverbindliche Auswertung, die in meinem Fall darauf hindeutet, dass ich zu viel Miete zahle, und zwar seit vielen Monaten: Die Gesamtmiete, heißt es da, darf inklusive Betriebskosten und Umsatzsteuer in meinem Fall monatlich maximal EUR 206 betragen. Ich zahle wesentlich mehr an meinen Vermieter. Von daher habe ich jetzt gute Laune.

Versehen ist die Auswertung allerdings mit dem Hinweis, dass die gelistete Gesamtmiete „eine grobe Schätzung“ ist und „mehr Rechtssicherheit nur eine konkrete Prüfung ihres Mietvertrags bieten kann“. In diesem Fall solle man sich „bei der Mietervereinigung anmelden“ (was einen Privatmieter in Wien derzeit 65 Euro pro Jahr kostet) und „die überhöhte Differenz einfordern“.

Achtung vor „Prozess-Finanzierern“!

An diesem Punkt entscheide ich mich explizit gegen Unternehmen wie Mieterunter.at oder Mietfuchs.at, die wie die alteingesessenen Mieterschutzverbände zwar auch eine juristische Vertretung geprellter Mieter anbieten, dafür allerdings eine für meinen Geschmack zu hohe Provision verlangen. Einrichtungen wie die Mieterhilfe der Stadt Wien warnen sogar vor der bei derartigen Prozessfinanzierern drohenden „Abzocke“ und ihren Drückerkolonnen, die von Haus zu Haus ziehen und Mieter als Kunden gewinnen wollen. Einziger Vorteil für Personen, die sich hier vertreten lassen: Sie tragen im Falle einer Auseinandersetzung vor Gericht kein Risiko, auf hohen Verfahrenskosten sitzenzubleiben. Damit werben die Unternehmen natürlich offensiv (s. Bild unten).

Als ich im Jahr 2018 im Wiener Büro von Mieterunter vorbeischaue, händigt man mir einen sogenannten „Prozessfinanzierungsvertrag“ aus. Auf der ersten Seite steht unter anderem:

Wenn die von der Miete Runter GmbH finanzierten Bemühungen dazu führen, dass ich einen rechtswirksamen Anspruch auf Rückzahlung zuviel bezahlter Miete, Kaution, Ablöse oder dgl. bekomme und/oder in Zukunft weniger Miete zahlen muss, erhält Miete Runter einen Anteil in Höhe von 30% des dadurch erzielten geldwerten Vorteils. Dieser besteht aus den erstrittenen Rückzahlungsansprüchen (ausgenommen Zinsen) und – für maximal 3 Jahre – auch aus künftigen Mietersparnissen, oder sonstigen Ersparnissen (zB wegen Aufrechnung). Künftige Ersparnisse, die sich aus der Herabsetzung des Mietzinses ergeben, werden für maximal 3 Jahre berücksichtigt.

Auszug aus dem Prozessfinanzierungsvertrag von Mieterunter
Abbildung der Homepage des Unternehmens Mieterunter.at
Startseite der Website von Mieterunter. (Quelle: Screenshot mieterunter.at, 02.07.21)

Vorausgesetzt dass Mieterunter erfolgreich ist, müsste ich als ehemaliger MIeter also 30 Prozent meines erstrittenen Betrags an das Unternehmen zahlen. Das ist mir schlicht zuviel.

Erster Termin bei meinem Rechtsbeistand

Stattdessen wende ich mich an die Mietervereinigung Österreichs, die seit 1911 existiert, ein gemeinnütziger Verein ist – und als SPÖ-nah gilt. Im August 2020 treffe ich als frischgebackenes Mitglied zum ersten (und letzten) Mal meine Vertreterin persönlich in den Räumlichkeiten in der Nähe der Hauptuni.

Die Dame wird mir in den folgenden Monaten dabei helfen, meine Ansprüche durchzusetzen. Ich wohne zu dieser Zeit noch in meiner Wohnung im 8. Bezirk. Ich schildere ihr, dass ich vorhabe, möglicherweise zuviel bezahlte Miete zurückzufordern und bringe die wichtigen Unterlagen gleich mit: Zwei Mal meinen Mietvertrag in Kopie, zwei Mal einen aktuellen Grundbuchauszug. Aus diesem geht hervor, wer der Eigentümer der Liegenschaft (Grundstück) ist, auf der ich wohne. Zudem ist es wichtig, alle Vorschreibungen und ggf. sogenannte Wertsicherungsschreiben dabeizuhaben. Also jene Unterlagen, die die Höhe der monatlichen Miete bzw. die Änderungen der Miethöhe dokumentieren.

Was ich ausgehändigt bekomme, ist unter anderem ein Informationsblatt, das mich vor möglicherweise entstehenden Kosten warnt, die die Mietervereinigung nicht für mich übernimmt. Darin heißt es unter anderem:

Alle Verfahren, die nach dem 01.01.2005 begonnen wurden, beinhalten ein gewisses Kostenrisiko. Die Verfahrenskosten beinhalten die Kosten der rechtsfreundlichen Vertretung durch einen Rechtsanwalt, Notar oder Interessenvertreter sowie die oben angeführten Barauslagen und Sachverständigenkosten. Vor Gericht können diese dort angefallenen Verfahrenskosten nach Billigkeit zwischen den Parteien aufgeteilt werden.

Passage aus dem „Informationsblatt Verfahrenskosten“ der Mietervereinigung Österreichs (Stand: Dezember 2019)
Abbildung des Informationsblatt Verfahrenskosten der Mietervereinigung
„Informationsblatt Verfahrenskosten“ der Mietervereinigung Österreichs (Quelle: Screenshot, Stand: Dezember 2019)

Nach einer kurzen Beratung und Fragen meinerseits entscheide ich mich, den Prozess der MIetzinsüberprüfung erst anzustoßen, wenn ich aus meiner Wohnung ausgezogen bin. Hintergrund ist, dass mir einige Mietrechtsexperten geraten haben, vor Start eines Mietzinsverfahrens auf die Rückzahlung der Kaution zu warten, da manche Vermieter diese ansonsten mit finanziellen Ansprüchen des Mieters „verrechnen“ könnten oder anderen Schabernack treiben.

Achtung vor der Hausverwaltung!

Als ich meine Wohnung Anfang November 2020 an die Hausverwaltung zurückgebe, legt mir deren Chef ein Dokument zur Unterzeichnung vor, vor dem Mieterverbände seit Jahren warnen. Irgendwo mittendrin steht, dass ich als Mieter „rechtsverbindlich und unwiderruflich (…) erkläre, dass ich „keine wie auch immer lautenden Forderungen aus dem Mietverhältnis“ mehr besitze. Ich sage also meinem Hausverwalter, der genervt neben mir steht, dass ich diesen Satz vor Unterzeichnung streichen werde. Er reagiert sichtlich verschnupft.

Auszug aus einem Dokument meiner Hausverwaltung
Dieses von der Hausverwaltung vorgefertigte Dokument soll ich am Tag meines Auszugs aus der Wohnung unterschreiben – was ich nur eingeschränkt tue. (Quelle: Screenshot)

Mit diesen wenigen Strichen meines Kugelschreibers habe ich meine finanziellen Ansprüche gesichert. Aber das ist natürlich erst der Anfang. Ende November teile ich meiner Vertretung bei der Mietervereinigung mit, dass ich das Überprüfungsverfahren starten möchte.

Schlechte Nachrichten: ein Gutachten vom Vermieter

Ungefähr drei Wochen später kommt die erste Rückmeldung, und zwar mit schlechten Nachrichten. Der Mail der Mietervereinigung ist ein Gutachten angehängt, das offenbar ziemlich frisch erstellt worden ist, im Auftrag der neuen Eigentümer des Hauses. Es kommt von einem „allgemein beeideten und gerichtlich zertifizierten Sachverständigen aus dem Fachgebiet Immobilien“. Das steht auf dem Siegel. Später werde ich von mieternahen Organisationen erfahren, dass dieser Herr, wie auch viele seiner Kollegen, offenbar dafür bekannt ist, Gutachten zu erstellen, die in erster Linie seine Auftraggeber erfreuen. Und das sind natürlich die Vermieter.

Ich lese das Gutachten in Ruhe durch. Auf insgesamt 75 Seiten (von denen ich nicht alle zu sehen bekomme) wird hier beschrieben, wie hervorragend das Haus, in dem ich gewohnt habe, doch gelegen ist. Die juristisch relevante Einschätzung kommt ganz zum Schluss. Auf der letzten Seite steht: „Die Liegenschaft weist eine überdurchschnittliche Lagequalität auf.“ Und dann kommt die Vokabel, die Mietervertreter aufhorchen lässt: „Der angemessene Lagezuschlag für die gegenständliche Liegenschaft beträgt zum Stichtag der Ausfertigung dieses Gutachtens EUR 5,18 je m2 Nutzfläche.“

Auszug aus dem Gutachten eines Immobilien-Sachverständigen
Auszug aus dem Gutachten des Immobilien-Sachverständigen, der offensichtlich versucht, einen hohen Lagezuschlag zu begründen. (Quelle: Screenshot)

Übersetzt heißt das, dass der Gutachter herausgefunden haben will, dass alle Mieter, die im Haus wohnen, pro Quadratmeter über fünf Euro mehr Miete zahlen müssen, und zwar pro Monat.

Jetzt wird mir klar, dass soviel Extra-Miete meine ganze Mietzinsrückforderungs-Kalkulation zunichte macht. Sicher, hier handelt es sich um ein Gutachten, das eine mutmaßlich der Immobilienwirtschaft nahestehende Person angefertigt hat. Dass ein Richter irgendwann später diese Berechnung durchwinkt, ist völlig unsicher. Fakt ist aber, dass die Gegenseite offenbar schon einmal versucht, Fakten zu schaffen. Ein erster Einschüchterungsversuch also.

Lagezuschlag und Lagezuschlagskarte

Um das für die Immobilienwirtschaft und natürlich auch die Mieter bedeutende Thema „Lagezuschlag“ zu verstehen, muss man wissen, dass die von der Stadt Wien herausgebrachte sogenannte Lagezuschlagskarte eindeutig festlegen soll, welche Bereiche der Stadt als „überdurchschnittlich“ gelten und wo es sich nach Auffassung der Gutachter folglich besonders gut leben lässt. Ebendort (und auch nur dort) darf dann ein sogenannter Lagezuschlag auf den zulässigen Richtwertmietzins aufgeschlagen werden. Meine Wohnung lag im Außenbereich des 8. Wiener Gemeindebezirks, und ebendort ist laut der Karte kein Lagezuschlag erlaubt. Das muss allerdings noch lange nicht heißen, dass sich Vermieter an diese Vorgabe halten. Im Gegenteil: Viele schwärmen im Mietvertrag von der tollen Lage und schlagen den Extrabetrag intransparent auf die Miete auf. Wird schon keiner etwas merken!

Auch in meinem Fall hatte meine Vermieter respektive meine Hausverwaltung offenbar für allfällige Rechtsstreitigkeiten vorgesorgt: In meinem Mietvertrag (Auszug: s. Bild unten) ist explizit von einem „Lagezuschlag (…) gemäß Mietrechtsgesetz“ die Rede, und dieser wird auch begründet. Als „maßgebende Umstände“ werden die „überdurchschnittliche Lage“ sowie auch eine angeblich „sehr gute Verkehrslage, sehr gute Infrastruktur“ und kurioserweise auch wohl eher Selbstverständliches wie eine „Gegensprechanlage“ aufgezählt.

Zudem ist explizit darauf verwiesen, dass das Haus außerhalb eines sogenannten Gründerzeitviertels liegt. Denn ansonsten würde ein Lagezuschlag überhaupt nicht erst in Betracht kommen. Aber dazu später mehr.

Auszug aus meinem Mietvertrag. Hier wird begründet, weshalb die Lage des Hauses und das Objekt an sich „überdurchschnittlich“ sein sollen. (Quelle: Screenshot)

Meine Vertreterin bei der Mietervereinigung ist offensichtlich überrascht, dass der per Gutachten erhobene Lagezuschlag derart hoch ist. Aber machen kann sie dagegen natürlich erst einmal gar nichts.

Mitte Januar erhalte ich dann ein Schriftstück, das den Beginn der Richtwertüberprüfung markiert. Ich werde im nun anstehenden Verfahren vor der Schlichtungsstelle für wohnrechtliche Angelegenheiten als „Antragsteller“ geführt. „Antragsgegner“ sind die Eigentümer des Hauses, in dem ich wohne. Wir befinden uns fortan in einem sogenannten Außerstreitverfahren.

Auf insgesamt vier Seiten verweist meine Vertretung auf die „(Teil-)Unwirksamkeit der Hauptmietzinsvereinbarung“ und darüber hinaus auch auf die „Unwirksamkeit der Vereinbarung über die Inventarmiete“. Hintergrund ist, dass mir der Vermieter einen Küchenblock mitvermietet hatte. Zu einem Preis, der laut Einschätzung meiner juristischen Vertretung unangemessen hoch war.

Ankündigung der „Begehung der Wohnung“

Dann tut sich erst einmal mehrere Wochen lang – nichts. Ende März dann bekomme ich sowie meine ehemalige Hausverwaltung und die juristische Vertretung meines ehemaligen Vermieters von der Magistratsabteilung 25 (MA 25) Post.

„Im Zuge eines bei der Wiener Schlichtungsstelle anhängigen Verfahrens ist eine Begehung (…) erforderlich“, heißt es da. Die Damen und Herren des Magistrats wollen also meine alte Wohnung anschauen und ausmessen. Außerdem steht da: „Falls es in Ihrer Zuständigkeit liegt, werden Sie aufgefordert, den Mietgegenstand zum vorgenannten Zeitpunkt zuverlässig zugänglich zu machen.“ Später erfahre ich, dass diese Formulierung juristisch derart windelweich ist, dass keine Hausverwaltung und kein Eigentümer auch nur irgendeinen Druck verspürt hier handeln zu müssen.

Schreiben der Magistratsabteilung 25 der Stadt Wien an Verfahrensbeteiligte
Schreiben von der MA 25: Ankündigung der Besichtigung meiner alten Wohnung (Quelle: Screenshot)

Wer weiß, vielleicht fühlt sich meine alte Hausverwaltung ja doch angesprochen und macht meinen Nachmieter auf die anstehende Begehung aufmerksam. Ich selbst habe aufgrund der damals bestehenden Corona-Maßnahmen leider keine Möglichkeit, an der Begehung teilzunehmen. Gespanntes Abwarten.

Am Stichtag der Begehung rufe ich neugierig beim zuständigen Magistrat an, um mich zu erkundigen, ob die Begehung wie geplant stattfinden konnte. Ein netter Herr, der offenbar mit einem seiner Kollegen und der juristischen Vertretung des Vermieters vor Ort gewesen ist, teilt mir mit, dass sie alle vor verschlossener Tür gestanden hätten. Niemand hat also geöffnet. Vielleicht war auch gar niemand in der Wohnung.

Auf Nachfrage wird er mir später noch mitteilen, dass es „leider“, wie der Beamte sagte, oft vorkomme, dass die Antragsgegnerseite den Nachmieter nicht informiert. Was, wie er sagt, „eigentlich Pflicht“ wäre, aber nicht exekutierbar sei. Und genau das wissen viele Wohnungseigentümer und Hausverwaltungen offensichtlich.

Jetzt bin ich sauer auf mich selbst. Hätte ich damit rechnen sollen, dass die Hausverwaltung einfach stillhält und den neuen Mieter offenbar schlicht nicht über die Besichtigung informiert?

Mein Brief an den Nachmieter

Mir kommt eine Idee. Einige Stunden später bitte ich einen in Wien lebenden Freund, einen von mir aufgesetzten Brief in meinen alten Briefkasten zu werfen. Hiermit nehme ich also Kontakt zu der neuen Mieterin oder dem neuen Mieter auf, der jetzt in meiner ehemaligen Wohnung lebt. Ich schildere kurz die Situation und bitte darum, mich doch einmal kurz telefonisch zu kontaktieren.

Adressfeld meines Briefes an meinen Nachmieter
Mein Brief an den neuen Mieter. (Quelle: Screenshot)

Einen Tag später bekomme ich einen Anruf von einer österreichischen Handynummer. „Hallo“, sagt der offenbar neue Mieter, und ich erzähle ihm in aller Ruhe von meinem Verfahren. Außerdem frage ich ihn, ob es ihm möglich wäre, dem Magistrat zu öffnen, sollte der sich bitten lassen, tatsächlich ein zweites Mal bei mir vorbeizukommen. Der neue Mieter macht einen sehr netten Eindruck. Ihn interessiert die Sache offenbar, und er bietet mir Hilfe an.

Ein zweite Besichtigung

Und bei der MA 25 hat man tatsächlich ein offenes Ohr für mich. Auch wenn es wohl eher unüblich ist, dass ein betroffener Mieter hier direkt anruft. Meine also wohl sehr spezielle Anfrage wird mit zwei Terminvorschlägen beantwortet, die ich dem jetzigen Mieter meiner alten Wohnung vorlege. Wenige Stunden später ist der Termin bestätigt. Und wieder folgt gespanntes Warten: Wird alles gut gehen? Werden die Herren vom Magistrat tatsächlich noch einmal vorbeischauen?

Inzwischen werde ich gebeten, einen Fragebogen auszufüllen, der zum Zweck hat, den Zustand meiner Wohnung zu beschreiben. Aus welchem Material die Fenster sind, will man unter anderem von mir wissen. Und ob der Fußboden gefliest oder mit Parkett ausgestattet ist.

An einem Vormittag Mitte Mai ruft mich der neue Mieter dann an, mit guten Nachrichten im Gepäck: „Ja, sie waren da“, sagt er, und sie hätten alles ausgemessen. Mein Kaffee schmeckt mir an diesem Morgen besonders gut.

Dann, einige Tage später, kommt leider wieder eine schlechte Nachricht: Post von der Schlichtungsstelle: „Da die damals mitvermieteten Einrichtungsgegenstände nicht mehr vorhanden waren, wird der Akt unbearbeitet retourniert“, steht da. Jetzt frage ich mich, ob der Eigentümer meinen Küchenblock nach meinem Auszug mit Absicht hat entsorgen lassen, nur um Ansprüche gegen mich abzuwehren. Ich werde es wohl nie erfahren. Immerhin, es gibt ja noch den Hauptteil meines Verfahrens, der sich mit der Frage beschäftigt, ob ich über die Jahre zu viel Miete gezahlt habe.

Zwei Gutachten von der Magistratsabteilung 25

In der gleichen Mail der Schlichtungsstelle sind auch noch zwei „Amtsgutachten“ angehängt: Eines ist sechs Seiten lang und beschäftigt sich mit der „Ermittlung der Nutzfläche“ meiner Wohnung, ein zweites mit dem „Richtwertmietzins“.

Abbildung des Amtsgutachten der Stadt Wien
Amtsgutachten der Stadt Wien (Quelle: Screenshot)

Das letztere greift unter anderem auf die von mir im Rahmen des Fragebogens gemachten Angaben zum Zustand der Wohnung zurück und liefert mir am Ende eine Zusammenfassung, wie hoch der Richtwertmietzins sein darf. Ich bekomme zwei Werte, einer bezieht sich auf den Stichtag 01.11.2017 (s. Bild unten), der zweite auf den 09.04.2019. Das sind die beiden Tage, an denen die Höhe des Mietendeckels jeweils nach oben hin angepasst wurde. Zum ersten Mal habe ich mit diesen beiden Gutachten also eine verbindliche Einschätzung, wie hoch meine Miete über die Jahre hätte sein dürfen.

Auszug auf dem Amtsgutachten, mit Berechnungen zum Richtwertmietzins
Auszug aus dem „Amtsgutachten zum Richtwertmietzins“. (Quelle: Screenshot)

Ich gebe die Werte in Excel ein und finde heraus: Mehrere Tausend Euro könnte ich vom Vermieter zurückbekommen. Allerdings nur dann, wenn dieses Amtsgutachten zum Richtwertmietzins auch von der Gegenseite akzeptiert würde. Und davon ist leider nicht auszugehen.

Auszug aus dem "Amtsgutachten zum Richtwertmietzins"
Auszug aus dem „Amtsgutachten zum Richtwertmietzins“. (Quelle: Screenshot)

Ich erinnere mich an die Mail vom Januar und somit an das andere Gutachten, das der vom Eigentümer beauftragte Sachverständige angefertigt hat. Mehr als 5 Euro extra pro Quadratmeter hält dieser angeblich für angemessen. Einfach nur deswegen, weil er die Lage des Grundstücks mit Siegel als „überdurchschnittlich“ bewertet hat. Jetzt gibt es also zwei Gutachten. Was die Sache kompliziert macht.

Gerichtsurteile und Einschätzungen von Experten

In den kommenden Tagen beschäftige ich mich intensiv mit der Materie rund ums Thema Lagezuschlag. Ich suche nach Informationen, die mir Anhaltspunkte liefern, ob die 5,18 Euro pro Quadratmeter Aufschlag eher angemessen oder unverschämt sind. Unter anderem stoße ich auf einen Beitrag auf der Website der Mietervereinigung, der von einem Pärchen handelt, das offenbar in der Nähe meiner ehemaligen Wohnung gewohnt hat und ebenfalls gegen seine Vermieter vor die Schlichtungsstelle gezogen ist. Es gibt viele Parallelen zu meinem Verfahren. Aber ich übersehe einen wesentlichen Punkt.

„Das ist ein anderer Fall“, klärt mich meine juristische Vertreterin auf Anfrage auf. Die beiden hätten in einem Gründerzeitviertel gewohnt. Und dort sei ein Lagezuschlag grundsätzlich nicht möglich, sagt sie. In meinem Fall leider schon. Allerdings eben nur dann, wenn die Lage von einer juristischen Instanz als „überdurchschnittlich“ angesehen wird. Nur darum geht es.

Derzeit ist die Situation auf dem Wohnungsmarkt aufgrund der Rechtslage ein Alles-Oder-Nichts-Spiel!

Ein bekannter Mietervertreter über das Thema Lagezuschlag

Ich lese in den kommenden Tagen mehrere Urteile, die ich auf den Websites der Justiz finde und die sich mit ähnlich gelagerten Mietrechtsfällen beschäftigt haben. Problem ist, dass ich mir nur in den wenigsten Fällen erschließen kann, wo genau die Wohnungen, um die es in den jeweiligen juristischen Auseinandersetzungen ging, befanden: Mitten im 8. Bezirk, oder, wie bei mir, eher Randlage? Immerhin, einen Eindruck kann ich während des Studiums der meist mehrere Seiten umfassenden Urteile gewinnen: Was bei einem solchen Verfahren am Ende herauskommt, ist alles andere als sicher.

Auszug aus einem Urteil zum Thema Lagezuschlag
Auszug aus einem Urteil des Obersten Gerichtshofs von 2017. (Quelle: Screenshot bka.gv.at, 02.07.2021)

Diese Einschätzung teilt auch ein angesehener Mietervertreter in Wien. Mit ihm kann ich mich austauschen. In einer Mail schreibt er mit unter anderem, dass „in vielen Bereichen des 7. Und 8. Bezirks Lagezuschläge für zulässig erachtet werden“: „Ich würde sagen, aktuell werden da sogar auch höhere Beträge als die von Ihnen genannten 3 bis 4 Euro/m² für zulässig erachtet.“

Derzeit sei die Situation auf dem Wohnungsmarkt „aufgrund der Rechtslage ein Alles-Oder-Nichts-Spiel“, sagt er. Und weiter: „Allgemein kann gesagt werden, wenn ein Lagezuschlag zulässig ist, dann schlägt das voll ein, also mit 3 Euro/m² aufwärts. Da spielt dann kaum noch eine Rolle, ob die Lage nur leicht oder stark überdurchschnittlich ist.“

Liege aber nur eine „durchschnittlich Lage“ vor, dann komme überhaupt kein Lagezuschlag zur Anwendung, egal wie hoch die Bodenpreise in der Umgebung sind. Zudem erklärt er mir, dass die Lagezuschläge nach den Grundkosten berechnet werden, und die seien überall in Wien „sehr hoch“.

Große Verunsicherung

Mir wird klar, dass auf dem Markt hinsichtlich des Lagezuschlags eine große Verunsicherung herrscht. Mieter gegen Vermieter. Und jeder hat seine eigenen guten Argumente im Gepäck. Die Folge: eine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme für Rechtsanwälte, und viel Arbeit für Mietervertreter und die Schlichtungsstelle. Und wer sich hier nicht vergleicht oder einig wird, zieht das Verfahren zu Gericht ab, wie es so schön heißt. Zuerst Bezirksgericht, dann Landesgericht, und vielleicht sogar Oberster Gerichtshof (OGH).

Wer so weit gehen will, muss sich seiner Sache natürlich sicher sein. Denn ab dann drohen Personen ohne passende Rechtschutzversicherung hohe Kosten. Bin ICH mir sicher? Oder sogar sehr sicher? Nicht wirklich! Zwar kann ich mir nicht vorstellen, dass in einem Gebiet, für das die Lagezuschlagskarte der Stadt Wien keinen Lagezuschlag vorsieht, mehr als 5 Euro pro Quadratmeter Extra-Miete angemessen sein sollen. Fakt ist aber: Ich habe offenbar an diesem Punkt keinen Einfluss mehr auf den Ausgang des Verfahrens.

Auch meine juristische Vertreterin der Mietervereinigung kann oder will mir offenbar keine konkrete Einschätzung meiner Lage liefern. Stattdessen verweist sie mich auf einen Artikel der Wiener Tageszeitung „Der Standard“ mit dem Titel „Mieten am Siedepunkt: Begehrte Lagen werden immer teurer“.

Screenshot eines Beitrags zum Thema Lagezuschlag der Tageszeitung "Der Standard"
Beitrag der Tageszeitung „Der Standard“ über die angespannte Lage am Wiener Wohnungsmarkt. (Quelle: Screenshot derstandard.at, 02.07.2021)

Immerhin teilt sie mir mit, dass in einem sogenannten Parallelverfahren einer Mieterin, die im selben Haus wie ich wohnte, neulich zwischen dieser und dem Vermieter eine „gütliche Einigung“ erzielt wurde. Der Lagezuschlag, auf den man sich geeinigt hat: etwas mehr als 3,50 Euro. Diese Zahl ist für mich immerhin ein relevanter Anhaltspunkt, auf die ich meine Berechnungen stützen kann.

Vergleichsangebot von der Gegenseite

Mitte Mai wird von der Schlichtungsstelle, die auf die beiden Gutachten verweist, „eine gütliche Einigung angeregt“. Zur Äußerung bzw. Übermittlung eines Vergleichsvorschlags bezüglich eines Rückzahlungsbetrags wird eine Frist von drei Wochen eingeräumt, wie es heißt.

Anfang Juni kommt Post vom Anwalt der Gegenseite. Gleich zu Beginn der Mail fährt er sein schärfstes Geschütz auf: das mir seit Januar bekannte, vom Vermieter beauftragte Gutachten, das auf einen Lagezuschlag von 5,18 Euro pro Quadratmeter kommt. Dieser finde im Amtsgutachten „leider keine Berücksichtigung“, wie der Anwalt bemängelt.

Zudem verweist er auf den guten Zustand des Hauses und die angeblich „hochwertige, luxuriöse Ausstattung“ hin – die mir so gar nicht bewusst war. Was vermutlich daran liegt, dass ich sie in meiner Wohnung schlicht nicht hatte.

Dann sein Angebot: „Zur raschen Streitbeilegung“ und als „vermittelnde und faire Lösung“, wie es heißt, bietet er mir „unpräjudiziell“ einen Rückzahlungsbetrag an, den ich zumindest auf den ersten Blick für zumindest nicht schlecht halte.

Ich nehme ihn als Berechnungsgrundlage in meine Excel-Tabelle auf und finde heraus, dass die angebotenen Rückzahlungssumme nicht etwa die 5,18 Euro pro Quadratmeter aus dem Gutachten des Eigentümers als Grundlage hat, sondern darauf einen ungefähr 30-prozentigen Abschlag gewährt. Das Ergebnis entspricht somit in etwa einem Lagezuschlag von 3,50 Euro pro Quadratmeter. Das Angebot anzunehmen, wäre also eine Art Kompromiss. Jetzt heißt es: Lieber Spatz in der Hand, oder doch eher die Taube auf dem Dach?

Letzte Überlegungen: Vergleichen, oder nicht?

Soll ich also auf sein Angebot eingehen und mit meinem ehemaligen Vermieter einen juristischen Vergleich schließen? Oder soll ich ein Gegenangebot machen? Hier besteht die Gefahr, dass die Gegenseite ablehnt und ich auch den Anspruch auf das initiale Angebot verliere. So erklärt es mir die Mietervereinigung.

Sollten wir uns nicht einigen, würde die Schlichtungsstelle im nächsten Schritt aktiv werden und zu einer mündlichen Verhandlung laden. Sie würde ihre Einschätzung dann vermutlich auf das erstellte Amtsgutachten stützen und feststellen, dass laut Lagezuschlagskarte kein Lagezuschlag erhoben werden darf.

Das wiederum dürfte sich die Gegenseite wohl nicht gefallen lassen. Sie könnte das Verfahren zu Gericht abziehen. Schon aus Angst vor einer Welle anderer Mieter aus demselben Haus, die nach mir zur Mietervertretung rennen. Dann würde ein gerichtlicher Sachverständiger bestellt, der erneut ein Gutachten erstellt. Ausgang: ungewiss. Und auch die Richter urteilen in ähnlich gelagerten Mietrechtangelegenheiten offenbar recht unterschiedlich, wie ich während meines Studiums von Urteilen feststellen musste.

Ich denke an den Mietrechtsexperten, mit dem ich neulich länger gesprochen habe und der das „Alles-oder-Nichts-Spiel“ erwähnt hatte – und nehme den Vergleich an. Ein paar Wochen später habe ich das Geld auf dem Konto. Im Account der Mietervereinigung steht jetzt: „Verglichen“.

Wenn du Lust hat, mir deine persönlichen Erfahrungen zu schildern oder mir sonst etwas mitteilen möchtest, kann du mich gerne hier kontaktieren.


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