Darf ein Radiosender so tun, als sende er live, wenn das nicht der Fall ist? Fakt ist: Viele Sender tun es, aus ganz unterschiedlichen Gründen.
Erst am vergangenen Wochenende schien es beim bayerischen Privatsender Antenne Bayern so, als spiele der Sender nicht ganz mit offenen Karten.
Erklärtes Ziel: Informationskompetenz ausbauen
Von 18 bis 19 Uhr lief ein Teil der Polittalk-Reihe „Auf ein Wort mit Helmut Markwort“, mit dem der Sender seit einigen Wochen nach eigenen Angaben versucht, seine „Informationskompetenz konsequent auszubauen“. Moderator Helmut Markwort ist Gründer des Nachrichtenmagazins „Focus“ und soll bei diesem Unterfangen offensichtlich behilflich sein.
Aus der am 5. Juli versendeten Pressemitteilung zum Start der Sendungsreihe lässt sich herauslesen, dass die Sendung live stattfindet: Dort heißt es:
„Ab dem 7. Juli 2013 wird Markwort jeweils sonntags um 18.00 Uhr am Mikrofon stehen.“
Doch trifft sich Helmut Markwort tatsächlich am Sonntagabend mit den Spitzenpolitikern in der Sendezentrale von Antenne Bayern im Münchener Vorort Ismaning? Sollte dies (zum Beispiel aus zeitlichen Gründen) nicht möglich sein, so wäre es sicherlich keine Schande. Man müsste es nur offen dem Hörer gegenüber kommunizieren.
Hilfe von Seiten der FDP
Einen Hinweis darauf, dass zumindest die Ausgabe der vergangenen Woche nicht live war, liefert Olaf Bentlage. Der Herr ist Wahlkampforganisator von FDP-Spitzenkandidat Rainer Brüderle. Und der war am vergangenen Sonntag als Gast von Helmut Markwort auf Antenne Bayern zu hören.
Olaf Bentlage hat unvorsichtigerweise bereits am 2. August, also zwei Tage vor dem Live-Sendetermin, folgenden Tweet über das soziale Netzwerk Twitter abgesetzt:

Antenne Bayern möchte sich offensichtlich nicht zum Thema äußern. Eine Anfrage von RADIOWATCHER bleibt unbeantwortet. Auch Olaf Bentlage reagiert nicht – und das, obwohl er auf Twitter sonst recht mitteilungsfreudig ist.
Live-Charakter herausheben
Offensichtlich möchte Antenne Bayern den Live-Charakter der Sendung herausheben: Markwort versucht bereits zu Beginn des Gesprächs dem Hörer klarzumachen, dass das Gespräch jetzt in diesem Moment stattfindet. Er begrüßt die Hörer explizit mit einem „Sonntagabend, 18 Uhr, in Bayern“, was hier nachzuhören ist:
Auch Rainer Brüderle scheint mitzuspielen:
Achtung, Hörer!
Etwas später dürfen Hörer dann angeblich in die Sendung anrufen, denn „bei Antenne Bayern dürfen natürlich auch die Hörer mitreden!“, wie Markwort verspricht. Dass gefühlte wenige Millisekunden nach dem Angebot durch Markwort die erste Person in der Leitung ist, mag man als Journalistenglück bezeichnen – oder eben als Hinweis darauf, dass die Sendung nicht live, sondern aufgezeichnet ist:
Seltsam ist, dass die Hörer im Verlauf der Sendung bis zu diesem Zeitpunkt offensichtlich kein einziges Mal dazu aufgefordert wurden, anzurufen. Das wäre das in einem Radiosender übliche Vorgehen. Die Redaktion entscheidet dann im Normalfall, welche Anrufer in die Live-Sendung gestellt werden.
Handelt es sich um einen Einzelfall?
Hat Antenne Bayern hier also getrickst und eine aufgezeichnete Sendung als „live“ verkauft? Falls ja, könnte man die Causa Brüderle-Talk wohlwollend als Einzelfall bezeichnen. Wundern muss dann allerdings, dass auch in der darauf folgenden Antenne-Bayern-Sendung „Schönes Wochenende“ offensichtlich nicht alles live ist, was wahrscheinlich so wirken soll:
Um ca. 19.04 Uhr, nach der Talksendung mit Markwort und Brüderle, den Nachrichten und dem Verkehrsservice, wird Moderatorin Melitta Varlam von der sogenannten Station Voice angekündigt. Danach sagt Sie kurz „Grüß Gott“:
Doch wo ist Melitta Varlam? Im Studio, das der Hörer meist per Webcam einsehen kann (siehe unten), sitzt keine Moderatorin, sondern jemand, der aussieht wie Nick Lisson. Er hat zuvor die Verkehrsnachrichten verlesen.

An diesem Sonntagabend kümmert er sich offensichtlich darum, dass im Studio alles klappt – Moderator der Sendung ist er allerdings nicht. Die Stimme von Moderatorin Melitta Varlam kommt also offensichtlich vom Band.
Das nennen die Radiomacher Voicetracking. Obwohl die Technik heutzutage gerade in den Abend- und Nachtstunden oft angewendet wird, versuchen viele Sender darüber hinwegzutäuschen, dass der Moderator nicht live im Studio ist.
Antenne Bayern hat sich gegenüber RADIOWATCHER leider nicht dazu geäußert, ob Melitta Varlam zu dieser Zeit live im Studio war.
Sollte „live“ immer live sein?
Ein weiterer Hinweis darauf, dass Frau Varlam nicht zugegen war, ist, dass Nick Lisson auch um 19.13 Uhr, also knapp zehn Minuten später, ohne Ankündigung durch die Moderatorin eine Verkehrs-Eilmeldung verliest.
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