Neben dem Fernsehprogramm sollen auch die Radiowellen des WDR radikal umgebaut werden. Denn die öffentlich-rechtliche Anstalt will Geld sparen. Am Abend des 30. Juni hat der anonym betriebene Twitter-Account WDR Leaks damit begonnen, aus internen Sitzungsprotokollen des WDR-Hörfunks zu zitieren, die Einsicht in die geplanten Maßnahmen gewähren. Das hat am Folgetag für jede Menge Aufmerksamkeit, Erleichterung, Lob und auch Verärgerung gesorgt.
Hörfunkdirektorin Valerie Weber, vor einem Jahr vom Privatradio Antenne Bayern zum WDR gewechselt, attestiert den Menschen hinter dem anonymen Account „Illoyalität“ und fragt sich auf der Unternehmenswebsite ihres Senders, ob sie selbst sich „bei allem Teamspirit künftig noch mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern beraten kann“.
Zeit also für ein Interview mit den Menschen, die hinter WDR Leaks stecken. In 140 Zeichen. Per Twitter-Direktnachricht.
RADIOWATCHER: Wie viele seid Ihr denn eigentlich?
WDR Leaks: Das möchten wir nicht preisgeben. Wir kommen aus verschiedenen Ressorts: TV, die meisten aus der Gruppe sind von den Rundfunkwellen.
Gibt es so etwas wie ein gemeinsam formuliertes Ziel, das Ihr erreichen möchtet?
Das haben wir gestern schon erreicht. Die große Aufmerksamkeit ist da. Man diskutiert darüber. Viel mehr kann man hiermit nicht schaffen.
„Frau Weber ist wie ein Elefant im Porzellanladen“
Von der Hörfunkdirektorin Transparenz einfordern und gleichzeitig anonyme Twitter-Accounts betreiben. Wie geht das zusammen?

Weil wir um unsere festen und freien Jobs fürchten, das Klima ist miserabel. Keiner traut sich intern oder öffentlich noch was zu sagen. Der Account ist eine gewisse Ohnmacht, weil wir nicht mehr weiterwissen. Frau Weber ist wie ein Elefant im Porzellanladen. Sie platzt in Redaktionsbesprechungen rein, hat keine Ahnung von den ÖR [öffentlich-rechtlichen Sendern, Anm.] und auch von journalistischen Grundkenntnissen haben wir wenig mitbekommen.
Jeder weiß, dass der WDR sparen muss. Hat Frau Weber nicht schlicht eine undankbare Aufgabe?
Hat sie. Die Umsetzung und ihre fehlende Gesprächsbereitschaft ist nur fragwürdig. Als krassestes Beispiel hören wir die Pläne von den Kollegen aus den Nachrichten. Dort sollen alle WDR-Radiosender (bis auf 1LIVE) vereinheitlicht werden. Gekürzt auf 3einhalb Minuten. Selbst bei WDR5. Wir sind der Ansicht, dass das journalistisch nicht vertretbar ist.
„Im WDR haben viele Schiss vor ihr“
Welche Rolle spielen denn die Arbeitsgruppen und die Chefredakteurin Angelica Netz?
Darüber möchten wir keine Auskunft geben.
Schade. Aber aus Eurer Arbeit als WDR Leaks geht ja hervor, dass es hier irgendwo hakt. Ist die Hörfunkdirektorin eine Alleinherrscherin?
Das kann man so sagen.Ihr Auftreten hat sie beim schlimmsten aller Privatradios, Antenne Bayern, gut geübt. Im WDR haben viele Schiss vor ihr.
Überall wird heute geschlichtet. Wie wäre es mit einem Mediator? Zum Beispiel WDR-Intendant Tom Buhrow. Spielt der irgendeine Rolle im Konflikt?
Das ist natürlich ein Dilemma. Wir können uns auch vorstellen, dass viele „da oben“ gar nicht wissen, was die „da unten“ für Sorgen haben. Vielleicht hilft ein Mediator, was aber für einen so großen Sender unrealistisch wäre. Wir fänden eine Umfrage mal spannend, die anonym an alle Mitarbeiter verteilt wird. Sowohl an feste als auch freie. Ein Stimmungsbild, damit Buhrow klar wird, was schief läuft.
Zunächst: Warum reden die „da unten“ nicht mit dem „da oben“, Tom Buhrow? Mangelt es im WDR an Kommunikation auf beiden Seiten?
Ja, möglicherweise muss eine neue Kommunikationskultur her. Die mangelnde Gesprächsbereitschaft liegt jedenfalls nicht bei der Basis.
Aber was ist mit den Wellenchefs und der Hörfunk-Chefredaktion? Vertreten sie alle Frau Webers Meinung, oder sind sie ihr hörig?
Teils, teils. Sie haben auch kaum eine andere Wahl. Die Pilotnachrichten im neuen Format stoßen bei ihnen jedenfalls auf ein geteiltes Echo.
Hat sich jemand von Euch mit dem Vorschlag der erwähnten anonymen Umfrage mal „nach oben“ gewandt?
Das wurde nur mal bei Tür- und Angelgesprächen ins Spiel gebracht. Wer das aber öffentlich vorschlägt, fällt wiederum auch auf.
Ihr habt Angst, wegen eines solchen Vorschlags gleich Euren Job zu verlieren?
Nicht direkt. Aber wer so etwas bezüglich der Reform vorschlägt, hat etwas zu kritisieren. Und scharfe Kritik würde auf Initiatoren zurückfallen.
„Wer Valerie Weber kennt, weiß, dass Gespräche kaum möglich sind“
Wäre es nicht Aufgabe Eurer Chefs, Eure Belange an Frau Weber als Hörfunkdirektorin heranzutragen? Warum passiert das nicht?
Weil die genau so viel Sorgen haben, ihre Stelle zu verlieren. Und wer Valerie Weber kennt, weiß, dass Gespräche kaum möglich sind.
Das heißt, der Chef muss nun ran? Also Intendant Tom Buhrow? Der hat sich vor einem Jahr ja sehr für Frau Weber eingesetzt, als es um ihre Wahl zur Hörfunkdirektorin ging…
Ja, Herr Buhrow, den wir wirklich schätzen, ist gefragt. Vielleicht weiß er auch um die Probleme „da unten“, wir wissen es nicht. Es dürfte aber auch klar sein, dass er jetzt keinen Rückzieher machen kann. Sie [Hörfunkdirektorin Valerie Weber, Anm.] zu entlassen, würde auch auf ihn negativ zurückfallen.
Interview: Ekkehard Kern (Website, Twitter)
Weiter unten finden Sie die Kommentarfunktion. Dort berichtet Christin bereits über ihre persönliche Erfahrung mit Valerie Weber und bezeichnet sie als „kritikfähigste Führungsperson“. Diskutieren Sie mit!
„Wir hätten noch genügend Leaks“
Update, 14:16 Uhr: Soeben haben die Leute hinter WDR Leaks angekündigt, dass der Twitter-Account nicht weiter betreut und am kommenden Samstag gelöscht werden soll:
Unser selbst gesetztes Ziel ist erreicht. Wir hätten noch genügend Leaks. Heiß war’s seit Beginn. Niemand wurde oder wird enttarnt.
https://twitter.com/WDR_Leaks/status/616576676814790660
https://twitter.com/WDR_Leaks/status/616594646723072000

Stellungnahme des WDR
Update, 17:34 Uhr: Nach der mittäglichen Anfrage von RADIOWATCHER hat sich die Pressestelle des WDR soeben zurückgemeldet. Auf die gestellte Frage, ob sich „Mitarbeiter direkt oder in Form von WDR Leaks schon in irgendeiner Form an die Intendanz oder eine andere zur Mediation geeignete Instanz gewendet“ hätten, heißt es kurz: „Nein.“
Die Frage, ob dem Intendanten, Tom Buhrow, die Kommunikationsprobleme im Hörfunk-Bereich bekannt seien, bleibt allerdings ebenso unbeantwortet wie die nach der Einschätzung der im obigen Interview von WDR Leaks vorgebrachten Idee einer anonymisiert durchgeführten Befragung aller WDR-Hörfunkmitarbeiter.
Von der Pressestelle genannter Grund für die Nichtbeantwortung: „Zu Gerüchten, die anonym über Twitter verbreitet werden, äußern wir uns nicht inhaltlich.“
Update, 18:04 Uhr: Und von WDR Leaks gibt es auf Twitter eine (nicht von RADIOWATCHER angeforderte) Stellungnahme zur WDR-Stellungnahme:
https://twitter.com/WDR_Leaks/status/616636006331195392
https://twitter.com/WDR_Leaks/status/616638600453718016
Update, 18.20 Uhr: Der Twitter-Account von WDR Leaks wird derzeit offensichtlich gelöscht. Die meisten Tweets sind nicht mehr abrufbar.
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