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Ist Digitalradio attraktiv genug für die Deutschen?

„Nationales Digitalradio erfolgreich gestartet“, hieß es am 1. August 2011 auf der Seite digitalradio.de. Für das Wissenschaftsressort meiner Redaktion habe ich mich damals umgehört, was den Hörer erwartet – und welche Chancen Menschen aus der Branche dem Standard DAB+ hierzulande einräumen. Ein Beitrag von vor zwei Jahren:

Wenn Moderatorin Eva Schlössel künftig im Regensburger Studio von Absolut Radio steht, ist für sie die Anspannung groß. Denn ab dem 1. August ist ihre Stimme nicht nur in Bayern, sondern deutschlandweit zu hören. Möglich macht das der Radiostandard DAB+.

Digitalradio per DAB-Stick auf dem Computer hören
Digitalradio per DAB-Stick auf dem Computer hören

Die neue Generation des digitalen Rundfunks über Antenne ist ab heute offiziell „on Air“. Doch einen besonders starken Hörerzuwachs wird Eva Schlössel wohl erst einmal nicht erleben – denn jeder, der sie außerhalb Bayerns hören möchte, bräuchte dazu ein neues Radiogerät. Im Handel sind derzeit immerhin etwa 120 DAB+-Empfänger erhältlch, ein klassisches Küchenradio mit der neuen Technik kostet um die 50 Euro.

Erste Gehversuche des Digitalradios

Mitte der Neunzigerjahre wurde in Deutschland der erste Versuch gestartet, den UKW-Standard durch digitale Übertragung zu ersetzen. Doch viele Anhänger fanden sich nicht. Nun versuchen die öffentlich-rechtlichen Anstalten und eine Reihe von Privatradios, Gerätehersteller, Netzbetreiber und Politik ein zweites Mal, diesmal in seltener Einigkeit, dem in vielen anderen Ländern bereits erfolgreichen digitalen Antennenradio doch noch Schwung zu verleihen.

Die drei Programme des Deutschlandradios, Lounge FM, Absolut Radio, Radio Energy, der Fußballsender 90elf, Radio Bob, ERF Radio, Klassik Radio, Kiss FM und der christliche Sender Radio Horeb starten am 1. August offiziell ihren deutschlandweiten digitalen Sendebetrieb, in einigen Bundesländern stellen sie gleichzeitig DAB-Programme auf DAB+ um.

Was aber macht DAB+ besser als den Vorgänger DAB und das analoge UKW, und was setzt das neue Digitalradio dem Internet mit seiner schier unerschöpflichen Zahl an Audio-Streams entgegen?

Mögliches Ziel: Reichweitensteigerung

Das „+“ in der Bezeichnung des neuen Hörfunkstandards steht für „mehr Programme“. Es kann eine größere Auswahl gesendet werden als bislang über UKW. Denn eine Frequenz kann nun mehrere Programme beherbergen. Dafür sorgt ein besonders effektives Datenkomprimierungsverfahren, das jenes des Vorgängerstandards DAB überflügelt und trotz niedriger Datenraten eine gute Klangqualität bietet.

Die Gelegenheit, mithilfe bundesweiter DAB+ -Frequenz die eigene Reichweite zu steigern, nutzt auch das Unternehmen Regiocast Digital mit seinem Programm 90elf. Der Sender, der alle Spiele der Ersten und Zweiten Fußballbundesliga live als Audio überträgt, war bislang nur über das Internet zu empfangen.

Mit dem Start von DAB+ erhoffen sich die Leipziger mehr Hörer. Jetzt kann auch überall dort Fußball gehört werden, wo keine Verbindung ins Internet besteht. Dank derzeit fünf Unterkanälen lässt sich zwischen parallel stattfindenden Partien hin- und herschalten.

„Mehrwert“ durch neue, digitale Dienste

Trotz DAB+ werde der Webstream für 90elf allerdings weiterhin ein wichtiger Verbreitungsweg bleiben, sagt Geschäftsführer Christoph Kruse. Um die Deutschen von DAB+ zu überzeugen und UKW Vergangenheit werden zu lassen, verweisen die am Projekt Digitalradio Beteiligten auch auf eine Reihe von neuen digitalen Diensten, die dem Hörer einen Mehrwert liefern sollen.

Das Motto: Hören allein war gestern – jetzt soll es viele Extras obendrauf geben. Die in Baden-Württemberg durchgeführte Studie „Radio Plus“ habe gezeigt, dass Radiohörer genau solche Zusatzdienste wünschen, sagt Michael Reichert vom Projektbüro Digitalradio.

Einer dieser Zusatzdienste heißt Dynamic Label, ein Standard beim Radio der neuen Generation, sagt Alexander Zink, DAB+-Experte beim Nürnberger Fraunhofer-Institut für Integrierte Schaltungen. Mit dem Dienst kommen zum Beispiel der aktuelle Musiktitel, Interpret und Sendername aufs Display des Empfangsgeräts.

Ein anderer Zusatzdienst, Journaline, bietet eine Art Videotext fürs Digitalradio, Hintergrundinformationen zu Sendungen kommen so zum Hörer. Slideshow wiederum kann auf dem Display Wetterbericht und Plattencover abbilden.

Spezialanwendungen wie der TMC-Nachfolger TPEG sollen künftig den Verkehrsservice beim Autofahren verbessern. Allerdings unterstützen bei Weitem nicht alle neuen DAB+-Geräte die genannten neuen Dienste. Die kleinen Kofferradios zum Beispiel haben kein Farbdisplay.

Klangqualität soll sich verbessern

Immer wieder verweisen Befürworter des neuen Hörfunkstandards auch auf die verbesserte Klangqualität des Digitalradios. Im privaten Test zeigte sich, dass der Sound klarer ist als beim analogen UKW, was sich vor allem beim Tragen von Kopfhörern bemerkbar macht.

Kai Fischer, Geschäftsführer des niedersächsischen Privatsenders Hit-Radio Antenne, sieht Radio im Alltag als „Nebenbei-Medium“. Folglich komme es gar nicht auf den idealen, glasklaren Klang an, und das klassische UKW genüge somit.

Auch der bei Geräten der gehobenen Preisklasse jetzt mögliche Surround-Sound kann den Radiomann nicht für DAB+ begeistern. Überhaupt ist er nicht davon überzeugt, dass das terrestrische Digitalradio in Deutschland doch noch Erfolg haben wird. Deshalb hat sich sein Sender nicht am Projekt beteiligt. Auch andere private Branchengrößen wie Antenne Bayern, Radio FFN aus Niedersachsen und Hitradio FFH aus Hessen zeigen sich reserviert.

Besonders kritisch ist, dass DAB+ auch nach der 2015 abgeschlossenen Ausbaustufe noch lange nicht flächendeckend in Deutschland verfügbar sein wird. Mit UKW hingegen erzielen große Sender seit Jahrzehnten Traumwerte.

Experten aus der Privatradiobranche sprechen davon, dass auch in vier Jahren erst 70 Prozent der Bevölkerung das neue terrestrische Digitalradio zu Hause empfangen werden. Gerade im ländlichen Raum könnte es weiterhin Regionen ohne Empfang geben.

Auch der Verband Privater Rundfunk und Telemedien (VPRT) erwartet mittelfristig „keine annähernd befriedigende Versorgung“. Für viele werbefinanzierte Sender ein Grund, sich nicht um DAB+-Frequenzen zu bewerben.

„Es gibt andere Wege, Radio attraktiv zu machen“

Der Sendenetzbetreiber von DAB+ hingegen, die Media Broastcast, liefert deutlich optimistischere Werte. Nach aktuellen Angaben erreichen die nun aktiven 27 DAB+-Sendestationen 38 Millionen Menschen in ihren Häusern und 50 Prozent der Fläche Deutschlands. Ende 2015 will man mit dann 110 Senderstandorten in 95 Prozent der Häuser vordringen.

Trotzdem: Kai Fischer und gleich gesinnte Kollegen von den großen Privatradios setzen weiterhin auf UKW. Die Zukunft sei eher, die alte Broadcasting-Technik als „gesunde Basis“ mit neuen interaktiven Möglichkeiten zu verbinden.

Das Smartphone mit seinem GPS und seiner Rückkanal-Fähigkeit soll dazu bald noch mehr wertvolle Dienste leisten: „Es gibt andere Wege, Radio attraktiv zu machen“, sagt Fischer.

Vor allem junge Radiohörer wissen, dass nahezu alle bekannten UKW-Wellen ihr Programm längst auch als Webstream anbieten. Klassische Radiogeräte brauchen sie nicht, ganz egal, ob diese nun analog oder digital empfangen.

Zudem gibt es im Internet noch Zehntausende kostenlose Radioprogramme aus aller Welt. Würde jedoch die große Masse an Hörern auf einmal beginnen, per Smartphone Radio zu hören, so ließe das nicht nur die Streaming-Kosten der Sender explodieren, sondern zwänge auch so manches Mobilfunknetz in die Knie.

Nebenbei sind die Internet-Datenflatrates für mobiles Surfen derzeit noch nicht fürs Radiohören unterwegs konzipiert. So wird bei den meisten Tarifen nach Erreichen eines bestimmten Download-Volumens die Surfgeschwindigkeit stark gedrosselt. Danach ist an Audiostreaming nicht mehr zu denken.

Die Vorteile der Terrestrik

Für den Empfang via Terrestrik spricht zudem die Tatsache, dass die Punkt-zu-Punkt-Verbindung vom Server zum Endgerät beim Mobilfunk wesentlich kostenintensiver und störanfälliger ist als das sogenannte Broadcasting, auf dem UKW und jetzt auch DAB+ basieren.

Bei dieser Technik strahlt ein Sendemast einfach nur Signale ab – und erreicht potenziell unendlich viele Hörer bei gleichbleibenden Kosten. Das Radiohören via Smartphone wird dem terrestrischen Rundfunk vorerst kaum Konkurrenz machen.

Die kritische Masse von 16 Millionen DAB+-Empfangsgeräten gilt es nun zu verkaufen, um DAB+ auf Dauer wirtschaftlich zu machen, hat der Verband Privater Rundfunk und Telemedien errechnet. Eine Menge, wenn man bedenkt, dass die Geräte der digitalen Vorgängergeneration DAB über Jahre hinweg Ladenhüter blieben.

Ob es zu einer schnellen Verbreitung der Endgeräte kommt, hänge wesentlich von der Bereitschaft der Automobilindustrie ab, sie möglichst bald in die Fahrzeuge einzubauen, sagt Joachim Uhrig von der Elektronikfirma Terratec, die auch Teil des Projektes Digitalradio ist.

Derzeit stattet aber kein Hersteller seine Fahrzeuge serienmäßig mit einem DAB+ -Gerät aus. Die neue Technik ist derzeit noch ein kostenpflichtiges Extra.

Dieser Text erschien erstmals am 1. August 2011 in der gedruckten und der Online-Ausgabe der Tageszeitung „Die Welt“


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2 Antworten zu „Ist Digitalradio attraktiv genug für die Deutschen?“

  1. Avatar von Heri

    Ich nutze jetzt schon seit einigen Monaten ein Digitalradio und muss sagen ich bin schwer zufrieden, Von der Klangqulität, den Kanälen und den Funktionen. Ein Digitalradio eignet sich perfekt für den Haushalt, für das Arbeitsbüro und ähnlichem.

  2. Avatar von Felix
    Felix

    Bei mir im Office habe ich auch ein Digitalradio mit dem ich sehr zufrieden bin – es gibt zwar nun auch noch aktuellere Teile aber meins reicht mir erst mal.. habe es vom Start an und damals war es noch sehr teuer – jetzt haben sich die Preise aber relativiert und es erschwinglich.

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